Ein Elend ohne Ende? Der Gaza-Krieg

18. März 2024

In der Ortsvereinsversammlung am 16. November 2023, wurde der Gaza-Krieg diskutiert. Ein Genosse hatte ein Positionspapier eingebracht, das lebhaft diskutiert wurde. Wir bringen es nachfolgend zur Kenntnis.

Positionierung zum Gaza-Krieg 13. 11. 2023

Kurzfassung

  • Der Konflikt zwischen Israelis und Arabern im Nahen Osten ist ein Dauerkonflikt der seit sieben Jahrzehnten uns Kriege, Intifadas, mannigfaltige Repressionen und Abwehrkämpfe bringt.
  • Die von der Medienberichterstattung naheliegende Alternative sich für eine der Kriegsparteien Israel oder Hamas/Gaza zu entscheiden ist unbefriedigend, da sie diesen Konflikt ins Unendliche fortsetzt.
  • Sinnvoll scheint de Frage, wie dieser Konflikt aufrecht erhalten wird und wie er beendet werden könnte.
  • Zwei Grundentscheidungen sind notwendig
  1. Die Anerkennung des Staates Israel in den heutigen Grenzen durch die Vertreter der palästinensischen Vertreter, Verzicht auf Auslöschungswünsche
  2. Verzicht auf die Siedlungspolitik und die Benachteiligung der palästinensischen Bevölkerung. Anerkennung eines palästinensischen Staates.
  3. Ein Zusammenwirken von den USA, Europa u.a. um die Beteiligten mit Nachdruck auf diesen Weg zu bringen.

    Anm: Die Fussnoten sind aus technischen Gründen in () am Ende des Artikels

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Gerne möchte ich nochmals auf das Gespräch in der OV-Versammlung, den sog. Nahostkonflikt betreffend, zurückkommen. Hier ereignet sich der x-te Teil einer Tragödie, die sowohl großes menschliches Leid zur Folge hat, als auch immensen wirtschaftlichen Schaden. Zudem treibt sie die beteiligten Parteien in einen absurd teuren Rüstungswettlauf. Mit all den Ressourcen könnte man – um es überspitzt auszudrücken – jeden Israeli und jeden Palästinenser handvergolden. Es gibt also eine Menge Gründe darüber nachzudenken, wie wir dieses Geschehen, das sich fast wie die Gezeiten regelmäßig wiederholt, beenden können, zumindest der Weg aus dieser Misere gebahnt werden kann.
Was sich zur Zeit ereignet ist der vorläufige Höhepunkt eines Krieges dessen Ausgang klar ist: Die Palästinenser werden ihn verlieren, wie alle Kriege und Konflikte vorher und die Israelis werden ihn haushoch gewinnen, ebenfalls wie alle Konflikte davor. Ergebnis wird ein zerstörter Gazastreifen sein in dessen Trümmer das Leben noch kümmerlicher sein wird als davor. Es wird wieder der Hass auflodern und der Nährboden für radikale und kriminelle politische Bewegungen oder Eliten sein. Das hat den Vorteil, dass niemand sich fragen muss, was ist ihr (der Hamas, der Palästinenser) Anteil daran.
In Israel wird man das als Bestätigung sehen, dass man nur hochgerüstet in diesem Gebiet der Welt existieren kann, dass Härte und Unerbittlichkeit das Mittel der Wahl sein muss. Das ist eben der Preis dafür dieses Land zur Heimstatt der Juden aller Welt zu machen. In dem, in diesen Tagen wieder weltweit Antisemitismus aufflammt, scheint der Beweis erbracht, dass die Welt voll von Antisemiten ist. Auch das hat den Vorteil, dass niemand sich fragen muss, was der Anteil Israels ist. So haben beide Beteiligte die Gewissheit, dass man es ja sowieso schon wusste. Sie begraben ihre Toten, lecken ihre Wunden und versuchen ihr Land wieder aufzubauen. Und alle Beteiligten ahnen es: In zehn Jahren steht die nächste Runde an.

Es stellt sich nun die Frage, kann man solch einem Schicksal nicht entrinnen?

Unter den Aspekten der Kommunikationstheorie (1) spricht man von einer Ereignisfolge, die in unserem Falle wie folgt aussieht.

. . . > Repression > Auflehnung > Repression > Auflehnung > Repression > . . .

Es spielt zunächst keine Rolle wer angefangen hat (natürlich hat diese Reihe einen historischen Anfang), es geht um die Ereignisfolge. Je nachdem wo man die Interpunktion ansetzt nimmt der Repressor die Folgen:

  • Auflehnung-Repression-Auflehnung für sich in Anspruch und begründet somit die Repression. (Weil du dich auflehnst muss ich dich unterdrücken)

  • Der Auflehnende nimmt die Folgen: Repression-Auflehnung-Repression. Weil du mich unterdrückst muss ich mich auflehnen.

So hat jeder seine Wahrheit und gemeinsam verlängern sie den Konflikt ins Unendliche.
Genau das möchte ich den Kontrahenten ersparen. Das bedeutet jedoch innehalten und auf eine Meta-Ebene zu gehen. Zur Zeit erlebe ich das öffentliche Gespräch und die Berichterstattung über den Nahostkonflikt so als gäbe es nur zwei Möglichkeiten: Entweder ich helfe zu den Israelis und gehe in deren Schützengraben oder ich solidarisiere mich mit der Hamas/Palästinenser und nehme für sie die Waffe in die Hand. Diese Alternative akzeptiere ich nicht.

Versuch der Metaebene

  • Israeli:
    Wir sehen den Wunsch einer Menschengruppe, die in Europa und auch anderswo über zwei Jahrtausende immer wieder verfolgt wurden, eine Heimstatt zu suchen in der sie in Frieden leben können. Sie wählten sich dazu ein Gebiet aus, das ihre Vorfahren vor zweitausend Jahren verlassen mussten. Da dieses Land seit dieser Zeit von anderen besiedelt wurde, waren Konflikte zu erwarten. Diese nahmen zu je mehr Rückwanderer kamen. Während die Besiedlungslandkarte von 1947 (2) nur wenige Israelische Gebiete zeigt, werden in dem Teilungsplan der UN von 1947 bereits ein Großteil des Gebietes als „jüdischer Staat“ ausgewiesen. Nach dem Auslaufen des Britischen Mandates und der Ausrufung des Staates Israel kam es zu einem Bürgerkrieg. Die Folge waren große Fluchtbewegungen und Vertreibungen von Palästinensern, aber auch von Israelis aus den Gebieten, die dem arabischen Staat zugeschlagen waren. In der Folge wurde nach mehreren Kriegen, die Israel durchwegs gewann, das Siedlungsgebiet Israels ausgeweitet. Die Siedlungsbewegung legte weitere Siedlungen an, enteigneten und vertrieben Palästinenser, was zu Dauerspannungen und bewaffneten Auseinandersetzungen führte. Straftaten israelischer Siedler gegenüber Palästinensern werden in der Regel nicht verfolgt. Gegenwärtig kommt ein weiterer Siedlungsdruck dazu: Israelis, die sich die teuren Mieten des Landes nicht mehr leisten können, streben in das Westjordanland. Die Mehrheit der Neusiedler kommen, da sie in den Genuss staatlicher Subventionsprogramme gelangen wollen (3). Die Infrastruktur des Westjordanlandes (Wasser, Elektrizität, Straßen) liegen in israelischer Hand.

  • Palästinenser: Seit dem Rückkehrbestreben der europäischen Juden nach Palästina ist die dortige Bevölkerung in der Defensive. Alle Landnahme geht auf ihre Kosten. Während die ersten Siedler der zionistischen Bewegung Grund und Boden käuflich erwarben, geschah das nach der Ausrufung des Staates Israel 1948 zunehmend durch Besetzungen und Vertreibung. Konflikte waren damit abzusehen. Ein Bürgerkrieg fand statt nachdem die UNO den Verteilungsplan für Palästina vorgelegt hatte, nach der Ausrufung des Staates Israel kam es zum Unabhängigkeitskrieg in dessen Folge 850.000 palästinensische Araber den nun israelischen Teil Palästinas durch Flucht verließen oder vertrieben wurden (4). Bei all den nachfolgenden Kriegen und Konflikten (1967, 1973. Intifada 1987, 2. Intifada 2000) Während dieser Jahrzehnte sahen sich die Palästinenser vielfältiger Repressionen, Landraub und Vertreibungen ausgesetzt. Da dies meist in kleinen Schritten geschah, wurden sie von der Weltpresse kaum beachtet, von Palästinensern sehr wohl als Schikane, Bedrohung und als Verlust von Lebenschancen erlebt. Wut staute sich auf und entlud sich in gewalttätigen Eruptionen und zivilem Ungehorsam. Dies waren dann größere Aktionen und wurden von der Weltpresse wahrgenommen. Den Palästinensern wurde dabei stets die Rolle des Unruhestifters zugewiesen. Eine neue Qualität sind die Ereignisse vom Oktober 2023. Die massenhafte Ermordung israelischer Staatsbürger hat zu einer schauderhaften Eskalationsstufe geführt und voraussichtlich wieder zu einer tiefen Niederlage der Palästinenser zur Folge hat. Die vielen Toten und Verletzten, die großflächigen Zerstörungen und das Elend der Bevölkerung kann uns eine Mahnung sein dafür neue Wege zu beschreiten.

  • Wodurch wird dieser Konflikt aufrecht erhalten?

  • Verhalten der Hamas
    Ein wesentliches Problem scheint der Wunsch der radikalen, aber im Gazastreifen die Macht innehabenden Hamas zu sein den Staat Israel auszulöschen. In diesem Ansinnen hat die Hamas mächtige Unterstützer unter einigen islamischen Staaten. Die Aufgabe dieses Wunsches ist eine wesentliche Bedingung für den Abbau der über Generationen entstandenen Verhärtung der Konfrontation. Ein Problem dabei ist die Tatsache, dass die Hamas ein Maffia-ähnliches, diktatorisches System im Gazastreifen installiert hat in dem Führungskräfte sich bereichern. Diese haben offensichtlich Interesse an der Aufrechterhaltung von Spannungen und Konflikten. Da weder eine Opposition zugelassen ist, noch Wahlen durchgeführt werden, besitzt die Hamas über die Gewalt hinaus offensichtlich keine Legitimation.

  • Verhalten der Israelischen Regierungen
    Die verschiedenen israelischen Regierungen haben das Westjordanland, das ihnen durch die UNO-Resolution Nr. 181 bis zu einem Friedensschluss zur Verwaltung übergeben war, immer zur Besiedelung durch israelische Siedler freigegeben. Durch diese Landnahme, die mit gewalttätigen Enteignungen der sesshaften Bevölkerung mit einher ging, kam es zu Zwischenfällen. Übergriffe jüdischer Siedler auf einheimische Bewohner wurden von der israelischen Schutzmacht in der Regel nicht verfolgt. Teile des Westjordanlandes, speziell die fruchtbaren Gebiete, wurden zu militärischem Sperrgebiet erklärt. Palästinenser mussten dieses Land räumen, israelische Sieder nahmen es in Besitz. Die Wasserversorgung dieses Gebietes ging schrittweise in israelische Hand über. Die Palästinenser wurden zwangsweise an das Wassernetz angeschlossen, ihnen ist verboten Wasser in Zisternen zu sammeln. Zuwiderhandlung wird mit Zerstörung der Zisternen bestraft. Die Wasserversorgung wird als Repressionsinstrument benutzt und die verschiedenen Bevölkerungsgruppen sehr unterschiedlich mit Wasser versorgt. „Nimmt man den Gesamtverbrauch im Jahr 2011 für die drei Sektoren Landwirtschaft, Industrie und Trinkwasser, kommt man auf 646 Liter pro Person auf israelischer und 133 auf palästinensischer Seite.“ (5) Große Teile des Straßennetzes stehen nur für das israelische Militär und die Siedler zur Verfügung. Sie dürfen von Palästinensern nicht benutzt werden (6). Die Aufsicht über das ganze Gebiet wird von der israelischen Armee geführt.

Überlegungen zu einer Lösung dieses Konfliktes

Offiziell gilt noch die Forderung nach der sog. Zweistaatenlösung. Diese wird jedoch von Beobachtern für überholt empfunden, da die Realität längst neue Fakten geschaffen hat. Diese sind „Von den 2022 geschätzt rund 3 Millionen Bewohnern des Gebiets sind etwa 2,5 Millionen Palästinenser (Muslime, Christen und Samaritaner) und etwa 430.000 Juden, die in schätzungsweise 213 israelischen Siedlungen und ihren 132 Außenposten leben.“ (7) Eine Rückführung der Siedler wird nicht möglich sein, ein Versuch wäre sicher der Beginn eines neuen Krieges. Des weiteren sind die Protagonisten dieses Konfliktes so ineinander verkeilt, dass

  • wohl von beiden keine sinnvollen Initiativen zu erwarten sind, sie müssten beide über ihren Schatten springen. Wenn bei einem Friedensschluss etwas Sinnvolles heraus kommen soll, müssen zwei Grundbedingungen erfüllte sein: *
  1. Die Hamas PLO müssen das Existenzrecht Israels anerkennen. Auslöschungswünschen muss eine ausdrückliche Absage erteilt werden. Eine Kooperation mit Staaten, die eine Vernichtung Israels anstreben, darf es nicht geben. Die israelischen Sieder verbleiben in ihren Siedlungen. Entschädigungen von Palästinensern für enteignete Gebiete sind zu leisten.
  2. Die Israelische/n Regierung/en müssen die Staatlichkeit Palästinas anerkennen. Diesem Staat wird die Hoheit über Palästina und den Gazastreifen übertragen. Die bestehende Infrastruktur geht in das Eigentum dieses neuen Staates über. Israelisches Militär hat dieses Gebiet zur verlassen.
  3. Diese Maßnahmen können in einen Gesamtstaat von Israelis und Palästinensern münden, in dem die Gleichheit der BürgerInnen und Rechtssicherheit gewährleistet ist.

Es stellt sich dabei die Frage, wer das bewerkstelligen soll. Natürlich ist das ein Prozess der sich wahrscheinlich über Generationen hinzieht. Die Initiative kann aber jetzt ergriffen werden. Das wird nach Lage der Dinge nicht ohne Zwang gehen. EU, USA und andere Staaten, die guten Willens sind, könnten solche eine Initiative diktieren. Kredite und Waffenlieferungen (durch die USA 14,3 mrd $, 3. 11. 2023) (8) an Israel sind ein Hebel den man benützen könnte. Das Druckmittel gegen die Hamas sind die umfangreichen westlichen Hilfsmittel. Ziel ist es die Bevölkerung zu gewinnen, der Hamas und ähnlicher (Nachfolge-)Organisationen den Boden zu entziehen, der Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen und die Demokratisierung dieses neuen Staates (9)

So könnte Zuversicht in diesen Teil der Welt einkehren, eine Perspektive für alle Beteiligten. Wir können aber auch einen israelischen Sieg-Frieden akzeptieren und ansonsten alles so belassen wie es bislang war. Der nächste Krieg ist uns dann aber sicher.

PS 15.12.2023: Dieser Krieg ist noch nicht beendet und schon wird der Keim zum nächsten gelegt. Wie aus der Süddeutschen Zeitung vom 15. 12. 2023 zu erfahren war, hat die Regierung Netanjahu 100 Mio € für Siedlungprojekte im Westordanland frei gegeben. D.h. Landraub und Vertreibung von Palästinensern. D.h. auch Empörung und Hass und die Schaffung des Humus', auf dem die nächste Hamas oder wie immer sie dann heißen mag, entsteht.
JR ___________________________________________

Fußnoten
(1) Watzlawick, Beavin, Jackson, Menschliche Kommunikation, Bern, S 57f
(2) Wikipedia, Stichwort Israel
(3) ebenda
(4) Die Ereignisse waren wesentlich komplexer als hier stichwortartig zusammengestellt.
(5) Messerschmid Clemens, Hydrologe GIZ, Süddeutsche Zeitung, 10. 3. 2014
(6) Brumlik Micha, Deutschland und Nahost: Eskalation des Hasses, Blätter für deutsche und internationale Politik, September 2024
(7) CIA The World Fatbook, West Bank, 16. Mai 2022, Zitiert in Wikipedia, Stichwart Westjordanland
(8) zdf heute, 3. 11. 2923
(9) Hier lehne ich mich an die Ausführungen von M. Brumlik an, a.a.O.

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